Entscheidungsfindung

sobald eine Gruppe 3-6 Personen übersteigt, wird die Entscheidungsfindung zur Herausforderung. Alle, die noch basisdemokratische Zeiten miterlebt haben wissen, dass sich damals meist jene durchgesetzt haben, die das härteste Sitzfleisch hatten – alle anderen sind irgendwann gegangen (Mütter mit Kindern zuerst). Inzwischen gibt es verschiedene  Entscheidungsmodelle, die helfen, einerseits zügig zu Entscheidungen zu kommen und gleichzeiteig auch „den Leisen“  eine Stime zu geben. Exemplarisch wollen wir hier zwei bewährte Methoden vorstellen:  (eine gute Übersicht zum download finden sie bei Kerstin Schulenburg)

SYSTEMISCHES KONSENSIEREN

Das Systemische Konsensieren ist ein konsensnahes Entscheidungsverfahren. Eine Gruppe ermittelt aus einer Reihe selbst entwickelter Lösungsvorschläge jenen Vorschlag, der in der Gruppe die geringste Ablehnung erfährt. Diese Form der Entscheidungsfindung – von den Beteiligten nicht die Zustimmung zu einem Vorschlag zu erfragen, sondern das Ausmaß des Widerstands – ermöglicht ein Ergebnis, das einem Konsens am nächsten kommt. Denn es wird für jede einzelne Lösung das Ausmaß des gesamten Widerstands der Gruppe ermittelt.

Geeignet

  • um eine möglichst konsensnahe Entscheidung zu treffen
  • um den Fokus auf Lösungsmöglichkeiten zu erweitern
  • um auch zurückhaltenden oder schweigsamen Gruppenmitgliedern die Chance auf eine gleichwertige Berücksichtigung ihrer Stimme zu ermöglichen

Ablauf

Der Ablauf gliedert sich in vier Phasen:

  1. Entwicklung einer Fragestellung
    Eine Gruppe möchte eine Entscheidung treffen, die von allen Beteiligten getragen wird. Sie entwickelt eine übergeordnete Fragestellung, die nicht mit Ja oder Nein zu beantworten ist.
  2. Kreativphase: Sammeln von Lösungsvorschlägen
    In der zweiten Phase werden Lösungsvorschläge gesammelt, wobei nach dem Prinzip des Systemischen Konsensierens (SK-Prinzip) auf Kreativität und Vielfalt geachtet wird. Alle Ideen und Wünsche dürfen vorgebracht werden und stehen gleichberechtigt nebeneinander. Die Lösungsvorschläge werden in dieser Phase nicht kommentiert und diskutiert.
  3. Bewertungsphase
    In der Bewertungsphase wird jeder Lösungsvorschlag von jedem Gruppenmitglied mit sogenannten Widerstandspunkten (W-Punkten) bewertet. Null Punkte bedeutet dabei „Kein Widerstand“ bzw. „diese Lösung kann ich mittragen“. Die höchste zu vergebende Punktezahl ist 10 und bedeutet „starker Widerstand“ bzw. „ich lehne diesen Vorschlag entschieden ab“. Die Bewertung wird auf einer Matrix notiert. Als Hilfstool für die Bewertung und anschließende Auswertung steht online der W-Stimmen-Rechner zur Verfügung. >> www.sk-prinzip.net/konsensieren/
  4. Auswertung
    Abschließend werden die von den TeilnehmerInnen vergebenen Punkte für jeden Lösungsvorschlag zusammengerechnet. Die Lösung mit der geringsten Punktzahl erfährt in der Gruppe den geringsten Widerstand und ist einem Konsens deshalb am nächsten.

Das Verfahren des Systemischen Konsensierens kann für jede Entscheidungsfindung angewendet werden, wo mehrere Optionen zur Auswahl stehen (Phase 3 und 4). Das SK-Prinzip hilft, das Konfliktpotenzial bei kontroversen Entscheidungen zu minimieren. 

Zu beachten ist:

  • Damit das Verfahren gut funktioniert, ist es wichtig, dass die TeilnehmerInnen das Verfahren gut verstehen. 
  • Es wird empfohlen, die Gruppe vor dem Start des eigentlichen Entscheidungsprozesses durch einen Testdurchlauf mit einer einfachen Fragestellung mit dem Verfahren vertraut zu machen.
  • Vorab sollte geklärt werden,
    – ob das Verfahren anonym durchgeführt werden soll.
    – welches Medium in der Kreativen Kommunikation (Phase 2) genutzt wird (z.B. Brainstorming, Kartenabfrage etc.).
    – welches Medium beim Erfassen von Widerständen (Phase 3) genutzt wird. (z.B. online Tool auf www.sk-prinzip.net, Konsensierungskarten etc.)

 SOZIOKRATIE

 Die Konsententscheidung ist Teil der soziokratischen Methode. Bei der Konsententscheidung wird ebenfalls der Widerstand abgefragt. Die Frage ist, „Gibt es einen schwerwiegenden Einwand“?

Es ist ebenfalls ein strukturiertes Verfahren, bei der die Meinungsbildung so erfolgt, dass einer nach dem anderen im Kreis seine Meinung zum Vorschlag sagt. Dies führt – wie auch beim systemischen Konsensieren schon erwähnt – zu einer entspannten Ruhe im Meinungsbildungsprozess, weil jeder drankommt und keiner im Idealfall da zwischen ruft und damit die Diskussion dominiert.

Es gibt zwei wesentliche Unterschiede zum systemischen Konsensieren. Erstens muss der schwerwiegende Einwand in Bezug auf das gemeinsame Ziel begründet werden. Man kann nicht einfach so aus dem Bauch heraus dagegen sein. Dies setzt voraus, dass es ein gemeinsames Ziel gibt. Das heißt, bevor Entscheidungen gefällt werden, muss die gemeinsame Zielsetzung benannt werden. Wenn Sie einen systematischen Visionsprozess mit der Formulierung von Leitsätzen durchlaufen haben, sind diese Leistsätze eine excellente Basis.

Zweitens ist die Konsentenscheidung Teil einer Kreisstruktur für das gesamte Cohousingprojekt. Hierbei werden Aufgaben in thematische Kreise delegiert, die dann auch die Entscheidungskompetenz für ihren vorher festgelegten Kompetenzbereich (domain) haben. Wie sich dies zu einer Willensbildung verknüpft, bei dem trotz Delegation der Entscheidung an Dritte, der Einzelne ausreichend Gestaltungsmacht entwickelt, um mit den Entscheidungen einverstanden zu sein, steht weiter unten.

Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die Soziokratie weiterhilft, wenn die Gruppe wächst und die Menge der zu treffenden mittleren und kleinen Entscheidung mit Näherrücken des Baubeginns zunimmt.

zitiert aus: www.cohousing.de Dr. Kerstin Schulenburg www.dialog-im-mittelpunkt.de  https://www.cohousing.de/soziokratie

 

 

 

 SOZIOKRATIE ausfühlicher:

 Es gibt vier Basiselemente, die in einander greifen:

  • Das Konsentprinzip
  • Die Organisation in Kreisen
  • Die doppelte Kopplung
  • Die offene Wahl   

Das Konsentprinzip ist der Weg, wie Entscheidungen getroffen werden. Eine Entscheidung hat Konsent, wenn alle Mitglieder des Kreises keinen schwerwiegenden Einwand haben. Wenn jemand einen schwerwiegenden Einwand hat, muss er/sie dies bezogen auf das gemeinsame Ziel, die Leitsätze, begründen.

Die Leitsätze der Vision wurden vorher gemeinsam von Allen entwickelt. Damit ist immer die Rückkopplung auf Ihre gemeinsame Richtung gesichert.

Im Kasten ist der Ablauf dieser Entscheidungsbildung dargestellt. Der Entscheidungsprozess wird immer moderiert. Dies kann intern durch die gewählte Moderation geschehen. Als Teil der Einführung der Soziokratie werden interne Moderatoren geschult, damit das Projekt möglichst bald, möglichst unabhängig arbeiten kann.

Zu Beginn wird die Frage gestellt, welche Informationen es noch braucht, um sich eine Meinung bilden zu können. „Was muss ich noch wissen, um mir eine Meinung bilden zu können?“ Dies wird gesammelt, und wenn möglich, gleich beantwortet. Dadurch wird sichergestellt, dass alle Mitglieder im Kreis die notwendigen Informationen haben.

Erst wenn alle relevanten Informationen vorliegen, geht es in Ihre erste Meinungsbildende Runde. Nacheinander beantwortet jeder die Frage „Wie geht es mir mit dem Vorschlag? Welche Resonanz spüre ich?“ Durch das nacheinander im Kreis sprechen können, kommt eine große Ruhe in den meinungsbildenden Prozess. Oft bauen dadurch Ihre Wortbeiträge auch aufeinander auf.

Danach beginnt eine zweite Meinungsbildende Runde, die nochmal bewusst zur Reflexion vor dem Hintergrund des Gehörten einlädt: „Was hat sich durch das Gehörte geändert? Wie geht es mir jetzt?“ Durch diese zweite Meinungsbildende Runde ist jeder von Ihnen eingeladen, nochmal seine Meinung zu überprüfen. Dadurch können verbesserte, kreative Lösungen entstehen, weil das Potential in Ihrer Gruppe wirksam wird.

In der Konsentrunde wird dann nach der Zustimmung gefragt „Habe ich einen einfachen oder schwerwiegenden Einwand gegen diesen Beschluss im Sinne unseres gemeinsamen Ziels oder kann ich meine Zustimmung/Konsent geben?“ Wenn alle zustimmen, wird der Beschluss angenommen. Wenn es einfache oder schwerwiegende Einwände gibt, müssen diese, wenn möglich, in die Lösung integriert werden. Wenn ein schwerwiegender Einwand bestehen bleibt, muss eine andere Lösung gefunden werden.

Die Organisation in Kreisen in der Soziokratie

Die Kreise sind die thematischen Arbeitsgruppen und haben Arbeitsgruppengröße (ca. max. 6 – 8 Personen). Innerhalb eines Kreises ist jedes Mitglied gleichberechtigt. Jeder Kreis trifft innerhalb seines Aufgabenbereiches seine Entscheidungen selbständig.

In der Arbeitspraxis empfehle ich Ihnen erstens immer mit einem Flipchart zu arbeiten. Damit stehen die wesentlichen Inhalte nicht auf Zetteln, die Einzelne in der Hand halten und daraus referieren, sondern sind für alle sichtbar auf dem Flipchart. Dadurch ist es wesentlich leichter, sich aufeinander zu beziehen, und Sie haben gleich eine gute Basis für Ihre Ergebnisprotokolle.

Zweitens empfehle ich Ihnen mit der Kreismoderation flexibel zu arbeiten. Mit Kreismoderation ist gemeint, dass einer nach dem anderen spricht. Dies hat den schon oben erwähnten Vorteil, dass es eine entspannte Ruhe erzeugt und unterstützend ist, dass Sie sich aufeinander beziehen. Gleichzeitig sollten Sie damit flexibel sein und manchmal auch diese Regel durchbrechen. Mit der Zeit werden Sie ein Gefühl dafür bekommen, wann Sie das Sprechen im Kreis unterstützt und wann nicht. Es kann sonst zu formell werden. Immer wenn es schwierig wird, empfehle ich Ihnen auf jeden Fall die Kreismoderation.

Die doppelte Kopplung in der Soziokratie

Die thematischen Kreise sind über die doppelte Kopplung mit dem Leitungskreis verknüpft. Ihr Leitungskreis besteht aus je zwei Mitgliedern der thematischen Kreise. Die folgende Übersicht zeigt als Beispiel die Kreisstruktur des Wohnprojekts Genezareth, während der Bauphase.

Ihr Leitungskreis hat die Aufgabe, die gesamte Entwicklung im Blick zu haben und zu koordinieren. In der Praxis sind mir auch die Benennung als Managementkreis und Koordinationskreis begegnet.

Die Leitung der Kreise wird vom Leitungskreis gewählt. Die Leitung hat den Auftrag, Ihren Kreis auf der Grundlage der gemeinsamen Leitsätze der Vision zu leiten. Daneben gibt es den vom Arbeitskreis gewählten Delegierten. Dieser hat den Fokus auf die Wirkung von Entscheidungen des Leitungskreises aus der Sicht des thematischen Kreises und hat den Auftrag, für seinen Kreis im Leitungskreis seine Stimme zu erheben.

Leitung und Delegierter schauen also im Rahmen ihrer Rolle nochmal bewusst aus unterschiedlicher Richtung. Dies mag in einem Cohousingprojekt, wo alle ein gemeinsames Interesse haben, weniger wichtig sein, als in einer Firma, wo vielleicht die Interessen zwischen Leitungskreis (Management) und Kreis (Abteilung) stärker auseinanderfallen. Trotzdem kann es Situationen geben, wo der Delegierte aus dem Blickwinkel der „Basis“ auch in Cohousingprojekten eine wichtige Funktion hat.

Jedes Mitglied eines Ihrer Kreise hat die Möglichkeit, über seinen Delegierten oder seine Leitung ein Thema in den Leitungskreis zu bringen. Insgesamt wächst durch diese Verknüpfungen ein hohes Vertrauen, das es ermöglicht, mittlere und kleinere Entscheidungen zu delegieren. Dadurch entsteht eine hohe Handlungsfähigkeit in Ihrer Cohousinggruppe.

Durch die Leitsätze Ihrer Vision und die daraus abgeleiteten Ziele ist immer sichergestellt, dass Entscheidungen im Sinne von Ihnen allen fallen. Jeder schwerwiegende Einwand muss auf der Basis dieser gemeinsam, von Allen entwickelten Leitsätze und der daraus abgeleiteten Ziele begründet werden.

Die Offene Wahl in der Soziokratie

Die Leitungen der Kreise und die Delegierten werden in einer offenen Wahl gewählt. Die offene Wahl ist eine besondere Erfahrung und nicht mit herkömmlichen Wahlen zu vergleichen. In Schaufenster finden Sie den Ablauf. Die offene Wahl wird moderiert.

Als erstes sammelt die Runde gemeinsam Ihre Erwartungen an die Rolle. Was sind die Erwartungen und Anforderungen, die der Mensch erfüllen sollte? Danach schreibt jeder seinen Namen auf einen Zettel und wen er oder sie zur Wahl vorschlägt. Vorgeschlagene Namen und die Anzahl der Stimmen werden auf das Flip geschrieben.

Danach beginnt der Prozess, der die Wahl zu einer offenen Wahl macht. Jeder sagt in der ersten Meinungsbildenden Runde, wen er gewählt hat und warum. Das führt zu einer intensiven Wertschätzung der vorgeschlagenen Personen. Diese hören oft ganz überraschend, was die anderen an ihnen alles so schätzen. Auch wird in der Beschreibung der guten Eigenschaften nochmal deutlich, welche Qualitäten der Kreis sich für das Ausfüllen der Rolle des Delegierten, oder der Leitungskreis sich für die Leitung eines Arbeitskreises wünschen. Dies schärft nochmal das gemeinsame Bild.

In der zweiten Meinungsbildenden Runde kann dann wieder, wie gewohnt, eine Änderung der Meinung durch das Gehörte erfolgen. Oft entwickelt sich eine ganz eigene Dynamik durch die Wertschätzung der Vorgeschlagenen durch die Anderen und man lernt sich besser kennen. Es ist ein spannender Prozess, der Ihre Gruppe stärkt.

Wenn die Entscheidung reif ist, schlägt die Moderation eine Person vor und es kommt zur Konsentabfrage. Bis dahin können, wenn notwendig, mehrere Meinungsbildende Runden erfolgen.

Führungsverständnis in der Soziokratie:

Die Benennung Leitungskreis und Leitung können bei manchen Menschen leidvolle Erinnerungen an autoritäre Strukturen wecken. Trotzdem verwende ich diese Begriffe hier, weil sie in der Soziokratie anders gemeint sind. Und ich will in diesem Grundlagentext keine Verwirrung durch die Einführung anderer Begriffe stiften.

Deshalb ein paar Worte zum Führungsverständnis in der Soziokratie. Delegierte und Leitung sind sowohl in ihrem Arbeitskreis, wie auch im Leitungskreis, gleichwertig stimmberechtigt. Keine Entscheidung kann ohne das Votum aller Mitglieder im Kreis erfolgen. Damit ist die Leitung gleicher unter gleichen. Der Unterschied ist ihre Verantwortung und ihr Blick aufs Ganze als Teil ihrer Rolle und ihrer Mitgliedschaft im Leitungskreis. Gemeinsam mit dem Delegierten bringt sie Themen in den Leitungskreis ein und umgekehrt.

Die Leitung kann aber auch in die Zwickmühle geraten. Sie hat die Verantwortung, dass z.B. vereinbarte Deadlines für die Abgabe bestimmter Konzepte auch eingehalten werden. Diese Deadlines wurden vereinbart, weil das gesamte Cohousingprojekt zu einem bestimmten Zeitpunkt z.B. das Finanzierungskonzept braucht, um die weiteren Aktivitäten darauf aufzubauen. Die Zwickmühle entsteht manchmal auch dadurch, dass alle ehrenamtlich arbeiten. Das kann zu Engpässen führen.

In einem von mir begleiteten Kreis habe ich eine intensive Reflexion der Leitungsrolle erlebt. Die Leitung hat explizit darum gebeten, auch Leitung sein zu dürfen. Es gab erstmal eine erhebliche emotionale Welle rund um das Thema Autorität. Dann wurde es nach einigen Runden des Sprechens im Kreis, bei denen auch alte Verletzungen rund um das Thema Autorität da sein durften, klarer.

Die Leitung möchte wie eine Führungskraft nachhaken dürfen, warum etwas zu einem bestimmten Termin oder zu bestimmten Qualitätsstandard nicht vorliegt. Dann haben alle Teilnehmer den Konsent für dieses Nachhaken gegeben. Und es bedeutet auch die Verantwortung jedes Einzelnen abzuschätzen, ob er die delegierte Aufgabe wirklich in der vorgegebenen Zeit erledigen kann.

An dieser Stelle ein kleiner Exkurs dazu, was passiert, wenn Sie die anstehende Arbeit nicht in Kreise delegieren.  Häufig ist es mir begegnet, dass einige wenige alles Relevante (insbesondere Bausteuerung und die Bearbeitung der vielen Details beim Bauen) erledigt haben. Weil es sonst nicht vorwärtsgegangen wäre. Weil diese Personen sich besonders verantwortlich fühlen und auch gestalten wollen.

Dies führt zu einer Machtkonzentration, die dieser Mensch vielleicht gar nicht gewollt hat. Und das wiederum kann zu Unzufriedenheit führen, weil sich der Rest übergangen fühlt. Andererseits ist es aber ab einen bestimmten Zeitpunkt nicht mehr möglich, alle mittleren und kleinen Entscheidungen im Plenum zu treffen. Es führt zu endlosen Diskussion im Plenum, insbesondere falls die Entscheidungsvorlagen nicht gut vorbereitet oder einfach nicht gut kommuniziert sind. Da können dann kleine Dinge eine große Eigendynamik entwickeln und sehr viel Zeit und Energie fressen.

Es ist notwendig, dass Sie gemeinsam eine gute Kultur entwickeln. Eine Kultur, die getragen ist von einer Mischung aus Selbstwirksamkeit in der Gruppe und Großzügigkeit. Wenn Sie gemeinsam bauen, werden nicht alle Details ihren Wünschen entsprechen. Und wie eine Frau mir sagte „Es ist auch nicht wichtig, ob die Farbe in den Fluren so oder so ist. Es ist geht um das Ganze. Und das Gesamtergebnis gefällt mir sehr gut“.

Die Organisation in Kreisen, in der jeder in seinem Kreis mitwirkt, aber auch mit Vertrauen kleine und mittlere Entscheidungen in thematische Kreise delegiert, führt zu Selbstwirksamkeit im Ganzen. Die Soziokratie stützt diese kulturelle Entwicklung.

Die Steuerung der Kreise im Interesse des gesamten Cohousingprojektes:

Jeder Ihrer thematischen Kreise hat einen Zuständigkeitsbereich, eine Domain. Damit ist klar, was der Kreis bearbeitet und was nicht. Der Entwurf der Kreisstruktur und der Zuständigkeitsbereiche erfolgt in der Pioniergruppe mit Allen. Anders ist es bei einer späteren Einführung der Soziokratie, weil dann die Gruppe zu groß ist. Es werden dann Mitglieder eines Implementierungskreises von allen in einer Offenen Wahl gewählt. Dieser Implementierungskreis begleitet die Einführung der Soziokratie und entwirft die Kreisstruktur.

Wie kommt jetzt der Kreis zu den spezifischen Zielen in seiner Arbeit?

Beispiel:

Sie sind Mitglied im Kreis Bausteuerung. Ihre Domain ist die Zusammenarbeit mit dem Architekten und die Vorbereitung, so wie das Treffen von Bauentscheidungen. Gemeinsam leiten Sie als Kreis die Ziele Ihres Kreises aus den Leitsätzen ab. Nachdem Sie ihre Ziele als Kreis formuliert haben, legen Sie diese noch einmal im Leitungskreis zur Zustimmung vor. Danach werden ihre Ziele im Logbuch ihres Kreises (digital für alle einsehbar) festgehalten.

Nachhaltigkeit ist für Sie eine wesentliche Überschrift und im Visionsprozess haben Sie dies konkretisiert. Sie wollen ökologisch bauen. Ihr erstes Ziel ist also eine ökologogisch verträgliche Bauweise.

Gleichzeitig sollen die Baukosten innerhalb eines Rahmens bleiben, den Sie und Ihre Zielgruppe sich leisten können. Der Rahmen ist in Euro benannt. Das zweite Ziel ist also das Einhalten der Bausumme XY €/qm.

Ihr Kreis mit der Zuständigkeit für Baufragen, muss dann seine Lösungsvorschläge /Entscheidungen auf diese beiden Ziele ausrichten. Zusätzlich – ich greife jetzt ein bisschen vor – können Sie als Cohousinggruppe festlegen, welche Entscheidungen eigenständig bis zu einer Summe X in dem Kreis Bauen getroffen werden und welche Entscheidungen von grundsätzlicher Tragweite, z.B. die Wahl zwischen zwei Heizsystemen, nochmal in den Leitungskreis sollen. Entscheidungen werden aber erst dann von Ihrem Kreis Bausteuerung in den Leitungskreis gegeben, wenn sie als Lösungsvorschläge mit Vor- und Nachteilen ausgereift sind. Dafür arbeiten Sie mit dem Architekten zusammen.

 

Kombination der Soziokratie mit Plenumsentscheidungen im Cohousingprojekt

Es ist möglich, die Soziokratie für bestimmte grundsätzliche und große Entscheidungen mit Plenumsentscheidungen zu kombinieren. Ob Ihre Cohousinggruppe diese Kombination von Soziokratie und Plenumsentscheidungen will, ist Ihre Entscheidung.

In den von mir befragten soziokratischen Cohousingprojekten wurde es unterschiedlich gehandhabt.

In der Reinform der Soziokratie werden alle Entscheidungen in den Kreisen getroffen und bei grundsätzlicheren Entscheidungen ist der Leitungskreis die letzte Instanz. Vorausgegangen ist in Cohousingprojekten aber immer die gemeinsame Entwicklung der Leitsätze der Vision mit allen.

Argumente pro Kombination der Soziokratie mit Großgruppenentscheidungen im Plenum

  • Transparenz bei Entscheidungen mit Tragweite
  • Alle werden nochmal explizit mitgenommen

Gefahren bei der Kombination der Soziokratie mit Großgruppenentscheidungen im Plenum

  • Jede Delegation einer Entscheidung ins Plenum bedeutet Zeit und Kraft
  • Es besteht die Gefahr der Verantwortungsabgabe in die Großgruppe, anstatt in den Kreisen zu guten Lösungen im Sinne der Leitsätze zu kommen
  • Hinter der Forderung nach Plenumsentscheidungen kann der Wunsch nach Kontrolle von einzelnen stehen und die Schwierigkeit, zu delegieren

Pro reine Form der Soziokratie mit dem Leitungskreis als letzte Instanz

  • Durch die doppelte Kopplung und die Mitgliedschaft in den Kreisen kann jeder Einfluss nehmen
  • Durch die doppelte Kopplung und die Mitgliedschaft in den Kreisen wächst das Vertrauen in den Gesamtorganismus, so dass es das Plenum nicht mehr braucht

In dieser Frage habe ich selbst zwei Seelen in meiner Brust. Als Großgruppenmoderatorin weiß ich um die Kraft der Entscheidungen, die von allen gemeinsam im Plenum getroffen werden. Deshalb stehe ich der Kombination mit dem Plenum offen gegenüber. Voraussetzung dafür, dass diese Plenumsentscheidungen gelingen, ist aber eine gute Entscheidungsvorbereitung durch die Kreise.

Ich würde dies aber deutlich auf wirklich essentielle Fragen beschränken und den Kreisen einen weiten Entscheidungsspielraum einräumen. Die Entscheidung darüber, welche Fragen nochmal ins Plenum sollen, könnten Sie in Ihren Leitungskreis geben. Dieser Leitungskreis muss diese Entscheidung dann jeweils mit Fingerspitzengefühl und durch reinhorchen in den Gesamtorganismus treffen.

www.cohousing.de Dr. Kerstin Schulenburg www.dialog-im-mittelpunkt.de  https://www.cohousing.de/soziokratie/